Leseprobe
Home Nach oben

 

Home
Nach oben

JEDERMANN    -   LESEPROBE

Zu den Seiten        FOTOS        -       DOKUMENTE

Wie Sie den vollständigen Stücktext beziehen können, erfahren Sie auf der Seite Kontakt

1

Hugo von hofmannsthal

 

Jedermann

 

DAS SPIEL VOM STERBEN DES

REICHEN MANNES

   

Gekürzte und leicht bearbeitete Fassung

 

2

DRAMATIS PERSONAE  
 

DER SPIELANSAGER
GOTT DER Herr
tod
teufel
jedermann
jedermanns mutter
jedermanns guter gesell
koch
drei diener
ein armer nachbar
ein schuldknecht
des schuldknechts weib
 buhlschaft
dicker vetter
dünner vetter
zwei junge fräulein
zwei tischgesellen
zwei büttel
mammon
werke
glaube
engel

Ausschnitt aus dem 1. Teil (Stückanfang)

3

1. Teil

Spielansager (tritt vor und sagt das Spiel an)  
Jetzt habet allesamt Achtung Leut
Und hört was wir vorstellen heut!
Ist als ein geistlich Spiel bewandt
Vorladung Jedermanns ist es zubenannt.
Darin euch wird gewiesen werden,
Wie unsere Tag und Werk auf Erden
Vergänglich sind und hinfällig gar.
Der Hergang ist recht schön und klar,
Das müßt ihr zu Gemüt euch führen
Und aus dem Inhalt die Lehr aufspüren.

Gott der herr (wird sichtbar auf seinem Thron - vor ihm der Tod, neben ihm der Erzengel Michael -  und spricht)  
Fürwahr mag länger das nit ertragen,
Daß alle Kreatur gegen mich
Ihr Herz verhärtet böslich,
Daß sie ohn einige Furcht vor mir
Schmählicher hinleben als das Getier
Des geistlichen Auges sind sie erblindt
In Sünd ersoffen, das ist was sie sind,
Und kennen mich nit für ihren Gott,
Ihr Trachten geht auf irdisch Gut allein
Und was darüber, das ist ihr Spott.
Darum will ich in rechter Eil
Gerichtstag halten über sie
Und Jedermann richten nach seinem Teil.
Wo bist du, Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.

TOD
Allmächtiger Gott, hier sieh mich stehn,
Nach deinem Befehl werd ich botengehn. 

GOTT
Geh du zu Jedermann
Und zeig in meinem Namen ihm an
Er muß eine Pilgerschaft antreten
Mit dieser Stund und heutigem Tag
Der er sich nit entziehen mag.
Und heiß ihn mitbringen sein Rechenbuch
und daß er nit Aufschub , noch Zögerung such.

TOD
Herr, ich will die ganze Welt abrennen
Und sie heimsuchen Groß und Klein,
Die Gottes Gesetze nit erkennen
Und unter das Vieh gefallen sein.
Der sein Herz hat auf irdisch Gut geworfen,
Den will ich mit einem Streich treffen,
Daß seine Augen brechen. 

(Erscheinung des Herrn (und des Erzengels Michael) verschwindet. Tod steigt hinab, wird gleichfalls unsichtbar.)

 

JEDERMANN (tritt mit dem Koch aus seinem Haus hervor)
Mein Haus hat ein gut Ansehn, das ist wahr,
Steht stattlich da, vornehm und reich,
Kommt in der Stadt kein andres gleich.
Hab drin köstlichen Hausrat die Meng,
Viele Truhen, viele Spind,
Dazu ein großes Hausgesind,
Einen schönen Schatz von gutem Geld
Und vor den Toren manch Stück Feld,
Auch Landsitz, Meierhöf voll Vieh,
Von denen ich Zins und Renten zieh,
Daß ich mir wahrlich machen mag
So heut wie morgen fröhliche Tag.
(Zum Koch) Für morgen wird ein Frühmal gericht,
Das muß bereit't sein aufs allerbest
Kommen Verwandte und fremde Gäst.

KOCH
Es wär von gestern geblieben die Meng
Zumindest für zwei kalte Gäng.

JEDERMANN
Du Esels-Koch bist so vermessen,
Soll ich eine Bettlermahlzeit essen?

(Der arme Nachbar wird in der Ferne sichtbar, nähert sich ängstlich. Jedermanns Geselle kommt zugleich raschen Schrittes die Straße hergegangen.)

Ah, da kommt ja mein guter Gesell.
Hätt beinah müssen auf dich warten.
Wir wollen jetzt vors Stadttor gehen
Und uns dort das Grundstück ansehen,
Obs tauglich ist für einen Lustgarten.

(weiter rechte Spalte)

4

 

GESELL
Ja, bei dir gilts: gewünscht ist schon getan,
Du hasts danach, drum steht dirs an.

ARMER NACHBAR
Das ist des reichen Jedermanns Haus.
Oh, Herr, dich bitt ich überaus
Wolltest dich hilfreich meiner erbarmen,
Mildtätig beistehen einem Armen. 

GESELL (zu Jedermann)  
Ja, wie gesprochen, wir müssen eilen,
Dürfen uns gar nit länger verweilen.

ARMER NACHBAR (hebt bittend die Hände)  
Oh, Jedermann, erbarm dich mein.

GESELL
Kennst du vielleicht das Gesicht?

JEDERMANN
                       
Ich? Wer solls sein?

ARMER NACHBAR
Oh, Jedermann, zu dir heb ich die Hand,
Hab auch einst bessere Tag gekannt.
War einst dein Nachbar, Haus bei Haus,
Dann hab ich müssen weichen draus.
Bist allermaßen mächtig reich.
Teilst du den Beutel auf gleich und gleich,
Dir bleiben die Truhen voll im Haus,
Dir fließen Zins und Renten zu. 

JEDERMANN
Mann, wer heißt dich, mein Schrank und Truh,
Mein Zins und Rent in Mund nehmen? 

GESELL (zu armem Nachbarn)
Ich tät mich allerwegen schämen.

JEDERMANN (gütig zuredend)  
Laß! - (Er wendet sich zu Nachbar) Mann, da bist du in der Irr,
Wenn du meinst ich könnt ohnweilen
Den Beutel Geld da mit dir teilen.
Das Geld ist gar nit länger mein,
Muß heut noch abgeliefert sein
Als Kaufschilling für einen Lustgarten.
Ich steh dem Verkäufer dafür im Wort.
Er will aufs Geld nit länger warten.

ARMER NACHBAR
Wenn dieses Geld für den Garten ist,
So brauchts für dich nur einen Wink,
Für einen Beutel hast du zehn,
Heiß einen andern bringen flink,
Den teil mit mir, bist du ein Christ. 

JEDERMANN
Der nächste, brächt man ihn herbei,
Der Beutel, der wär auch nit frei.
Mein Geld muß für mich werken und laufen
Mit Tod und Teufel hart sich raufen,
Weit reisen und auf Zins ausliegen,
Damit ich soll, was mir zusteht kriegen.
Auch kosten mich meine Häuser gar viel,
Pferd halten, Hund und Hausgesind
Und was die andern Dinge sind.
Wär all mein Geld und Gut gezählt
Und ausgeteilt auf jeglichen Christ,
der Almosens bedürftig ist,
Es käm mein Seel nit mehr auf dich
Als dieser Schilling sicherlich,
Drum empfang ihn unverweil,
Ist dein gebührend richtig Teil. 

(Nachbar nimmt den Schilling und geht.)

GESELL
Dem hast du's gegeben recht mit Fug,
Ja, das weiß Gott, viel Geld macht klug.

FOTO 1

[...]

 

Ausschnitt aus dem 2. Teil

5

STIMME
Jedermann! Jedermann! Jedermann!

JEDERMANN (springt angstvoll auf)
Mein Gott, wer ruft da so nach mir?

GESELL
Ei, Jedermann, ich bin zur Stell.

BUHLSCHAFT
Sieh, Jedermann doch, dein lieber Gesell.   FOTO 2

JEDERMANN
Ihr, liebe Freundschaft, sagt mir an
Wer ruft so gräßlich "Jedermann"?
Jetzt, jetzt! aufs neu, so hört doch an
Wie streng sie rufen "Jedermann"!

(Man hört das gleiche Rufen wie vordem)

BUHLSCHAFT  
Ich hör keinen Laut.

DICKER VETTER
                        
            Ich hör keinen Schall.

DÜNNER VETTER
Auch nit einen leisen Widerhall. 

GESELL (tritt zu Jedermann)
Ist Ohrentrug, siehst nit wohl aus,
Soll ich geleiten dich nach Haus?

JEDERMANN (angstvoll)
Und wer kommt hinter mir heran?
Auf Erden schreitet so kein Mann.

(Der Tod steht da in einiger Entfernung. Alle Gäste auf.)

 

(weiter rechte Spalte)

6

TOD
Ei Jedermann! ist so fröhlich dein Mut?
Hast deinen Schöpfer ganz vergessen?   FOTO 3

JEDERMANN
Was fragst du das zu dieser Stund?
Was kümmerts dich? wer bist? was solls?

TOD
Von deines Schöpfers Majestät
Bin ich nach dir ausgesandt
Und das in Eil: drum steh ich da.

(Buhlschaft ist von Jedermann weggeglitten.)

JEDERMANN
Wie, ausgesandt nach mir?

TOD
Denn ob du ihm gibst wenig Ehr
In der himmlischen Sphär
Denkt er dein,
In welcher Weis, 
das soll dir gleich vermeldet sein.

JEDERMANN
Was will mein Gott von mir?

TOD
Abrechnung will er halten mit dir. Unverweilt! 

JEDERMANN
Müßt ich das tun, da käm ich in Not.
Auch kenn ich dich nit, was bist du für ein Bot?

(Lautloses Flüchten, die Buhlschaft ihre Kleider hebend.)

TOD
Ich bin der Tod, ich scheu keinen Mann
Tret jeglichen an und verschone keinen.

[...]

Ausschnitt aus dem 3. Teil (Schlussszene)

7

[...]

(Engel

TEUFEL (beschirmt sich mit der Hand die Augen)
Sind die Gesellen auch im Spiel
Und wissen bessres nit zu schaffen
Als hier zu lümmeln und zu gaffen
Wenn andre Leut mit besten Kräften
Nachgehen ihren Amtsgeschäften!
Sitzt einer hier unter euch allen,
Der ins Gesicht mir tät bestreiten,
Daß dieser Mensch mir ist verfallen!
Ein Buhler, Verführer, Ehebrecher,
Ungläubig wie ein finstrer Heide,
In Wort und Taten frech vermessen
Und seines Gottes so vergessen
Wie nicht das Tier auf seiner Weide?
Und diesen will man mir verwehren,
Daß ich ihm an den Kragen geh
Ihm jählings das Genick umdreh?    FOTO 4

GLAUBE
Auf deiner Seite steht nit viel
Hast schon verloren in dem Spiel.
Gott hat geworfen in die Schal
Sein Opfertod und Marterqual
Und Jedermannes Schuldigkeit
Vorausbezahlt in Ewigkeit. 

TEUFEL
Seit wann? seit wo? wie geht das zu?
Geschiehet das in einem Nu?
Ha Weiberred und Gaukelei!
Wasch mir den Pelz und mach ihn nit naß!
Ein Wischiwasch! Salbaderei!
Zum Speien ich dergleichen haß!
Beweis? Gib eine einzige Red,
Die vor Gericht zu Recht besteht!

GLAUBE
Vor dem Gericht, vor das er tritt,
Bestehen deine Rechte nit,
Die sind auf Schein und Trug gestellt
Auf Hier und Nun und diese Welt,
Die ist gefangen in der Zeit.

 

(weiter rechte Spalte)

8

Wo aber tönet diese Glocke
Hat angefangen Ewigkeit.

(

TEUFEL (hält sich die Ohren zu.)  
Ha! Dies Geklingel silberfein
Geht einem ja durch Mark und Bein.
Ich geb ihn auf, ist mir ein Graus
Mich ekelts hier, ich geh nach Haus.
Ein schöner Fall, ganz sonnenklar
Und in der Suppe doch ein Haar!
Bläst mir ihn weg! "Hier führt kein Weg!"
Ich wollt, daß er im Feuer läg.
Und kommt in einem weißen Hemd
Erzheuchlerisch und ganz verschämt.
Die Welt ist dumm, gemein und schlecht
Und geht Gewalt allzeit vor Recht,
Ist einer redlich treu und klug,
Ihn meistern Arglist und Betrug.
(Geht ab.)

(Jedermann tritt in einem weißen langen Hemd hervor, einen Pilgerstab in der Hand, sein Angesicht ist totenbleich, aber verklärt, er geht auf die beiden zu. Der Tod geht hinter ihm einher.)

 

JEDERMANN (schließt die Augen)  
Nun muß ich ins Grab, das ist schwarz wie die Nacht,
Erbarm dich meiner in deiner Allmacht.  

GLAUBE
Ich steh dir nah und seh dich an. 

WERKE
Und ich geh mit, mein Jedermann.
(Hilft ihm ins Grab, steigt dann zu ihm hinein.)  
Herr laß das Ende sanft uns sein.
Wir gehn in deine Freuden ein.

GLAUBE
Nun hat er vollendet das Menschenlos,
Tritt vor den Richter nackt und bloß
Und seine Werke allein,
Die werden ihm Beistand und Fürsprecher sein.

(Der Himmel tut sich auf. Jedermann und Werke wandeln eng umschlungen auf Gottes Thron zu.)

     ENDE

Zum Seitenanfang