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TRAGÖDIE
Sprachlich
überarbeitete und leicht bearbeitete Fassung von
Kurt
Frisch
auf
der Grundlage der Übersetzungen von
W.
Kuchenmüller und K. Reinhardt
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PROLOG
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1
(1) Prolog
ANTIGONE
Ismene, Tochter
du des Ödipus
wie ich,
Nenn einen Fluch, den über unsren Vater
Zeus verhängte, den wir noch nicht erlebten.
Da ist kein Leid und nichts Entsetzliches,
Kein Elend, keine Schändlichkeit, die nicht
Wir beide, du und ich, bis jetzt erlitten.
Und nun, hast du gehört, was eben erst
Der neue Herr dem Volk verkündet hat?
Erfuhrst du’s? Oder weißt du es noch nicht,
Dass unsren Lieben neues Unheil droht?
FOTO
1
ISMENE
Zu mir kam keine Kunde noch, Antigone,
Von unsren Brüdern, weder traurige noch frohe,
Seitdem sie beide fielen, einer durch
Des andern Hand an einem Tag. Doch seit
Heut Nacht der Feinde Heer verschwand, weiß ich
Nicht mehr, was für mich Glück, was Unglück ist.
ANTIGONE
Das ahnte ich und führte dich deshalb
Heraus vors Tor, wo wir alleine sind.
ISMENE
Was
planst du? Ich merke, wie es in dir tobt.
ANTIGONE
Hat Kreon nicht dem einen Bruder nur ein Grab
Gegönnt, dem andern aber es verweigert?
Eteokles
begrub er, wie der Brauch
Es will, im Schoß der Erde, dass er drunten
Bei den Verstorbenen in Ehre steht.
Des Polyneikes armer Leichnam aber
Darf nicht beweint und nicht begraben werden,
So hat er es befohlen. Unbeklagt
Und unbestattet soll man ihn den Vögeln,
Die dort schon lauern, zum Fraße überlassen.
Und dies, so sagt man, will der edle Kreon
Auch dir und mir - ja mir sogar – verkünden.
Und er kommt selbst, um’s allen kundzutun:
Wer trotzig gegen dies Gebot verstößt,
Der stirbt durch öffentliche Steinigung.
So steht’s! Nun zeig, ob edel du geboren
Oder aus der Art geschlagen bist.
ISMENE
Verwegne! Wenn es so steht, was kann dann ich
Mit meinem Tun und Lassen daran ändern?
ANTIGONE
Entscheide dich, ob du mir helfen willst.
ISMENE
Was für ein Wagnis kommt dir in den Sinn!
ANTIGONE
Hilfst du mit deiner Hand den Toten zu
begraben?
ISMENE
Begraben willst du ihn trotz des Verbots?
ANTIGONE
Ja! Meinen Bruder, und – wenn du nicht hilfst –
Auch
deinen; die Lieben lass ich nicht im Stich.
ISMENE
Du wagst zu tun, was Kreon uns verbot?
ANTIGONE
Darf er mich hindern, meine Pflicht zu tun?
ISMENE
Ach Schwester, denk doch an den Vater,
Wie er verhasst und ruhmlos unterging,
Wie er den Frevel, den er ahnungslos
Beging, enthüllte, sich mit eigner Hand
Des Augenlichts beraubt, wie sie, die seine Frau
(weiter
rechte Spalte) |
Zugleich
und Mutter war, sich dann erhängt hat,
Wie nun an einem Tage unsre Brüder
Im Zweikampf sich zugleich ermordet haben.
Bedenke doch, wie schlimm wir beide enden,
Die wir allein noch übrig sind, wenn wir
Zum Trotz des Herrschers Machtwort übertreten.
Wir müssen einsehn, dass wir Frauen sind.
Mit Männern uns zu messen ziemt uns nicht.
Der Stärkere hat über uns Gewalt.
Drum flehe ich zu unsren Toten drunten,
Sie mögen mir verzeihn, wozu Gewalt
Mich zwingt. Ich füge mich der Obrigkeit,
Denn maßlos handeln hat doch keinen Sinn!
ANTIGONE
Ich frag dich nicht mehr. Auch wenn du’s noch wolltest,
Mich könnte deine Hilfe nicht mehr freuen.
Tu du nur, was dir richtig scheint, doch ich
Begrab ihn. Schön ist es,
dafür zu sterben.
Ich liege ihm zur Seite – lieb dem Lieben.
Gern büße ich für meine Frömmigkeit,
Denn länger als dem Herrscher hier muss ich den
Göttern drunten einst gefallen. Dort werd ich
Ewig sein. Doch du, wenn’s dir gefällt,
Missachte, was den Göttern heilig ist.
ISMENE
Missachten? Nein, das tu ich nicht, nur hab
Ich nicht die Kraft, mich offen aufzulehnen.
ANTIGONE
Für dich mag das als Grund genügen, doch ich
Geh hin, das Grab dem Bruder aufzuschütten.
ISMENE
Unglückliche! Ich habe Angst um dich!
ANTIGONE
Sei unbesorgt, sorg du für deine Rettung!
ISMENE
Doch halte wenigstens die Tat geheim,
Auch ich will nie und niemand etwas sagen.
ANTIGONE
Nein, laut verkünden sollst du’s allen Leuten,
Du bist mir viel verhasster, wenn du schweigst.
ISMENE
Mit heißem Herzen rennst du ins Verderben.
ANTIGONE
Gefallen will ich denen, die mir lieb sind.
ISMENE
Scheitern wirst du, denn du wagst zu viel!
ANTIGONE
Solang ich Kraft hab, gebe ich nicht auf!
ISMENE
Unmögliches beginnt man besser gar nicht.
ANTIGONE
Wenn du so redest, hass ich dich und auch
Des Toten Hass verdienst du, der dort liegt.
Nein, lass du mich doch nur in meiner Torheit
Das Schreckliche erleiden. Was auch immer
Mit mir geschieht, es ist ein schöner Tod.
ISMENE
So geh, wenn du nicht anders kannst. Die Tat
Ist sinnlos, doch die Lieben liebst du recht.
Beide gehen nach verschiedenen
Seiten ab
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Erstes Chorlied und Kreons Regierungserklärung
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3
FOTO
2
(2) EINZUGSLIED DES CHORES
Strahl
der Sonne! Nie zuvor
Leuchtete so herrlich ein Morgen
Dem siebentorigen Theben.
Goldener Tag, du öffnest
Dein Auge über Dirkes strömendem Quell.
Denn den waffenmächtigen Feind,
Der heraufkam von Argos mit
Glänzenden Schilden, du jagtest ihn weg,
Und er floh mit hängendem Zügel.
Ihn
hatte geführt zum spaltenden Kampfe
Polyneikes gegen die eigene Stadt.
Wie ein Adler flog er mit gellendem
Kreischen über die Heimat
Und seine Flügel bedeckten alles wie Schnee
Mit Rüstungen und Helmen
Von Pferdemähnen umflattert.
Sieben
Fürsten an sieben Toren,
Gleich gegen Gleiche gestellt, weihten
Zeus, dem Lenker der Schlachten, ihr Waffenglück.
Doch das entsetzliche Brüderpaar, gezeugt
Von einem Vater, einer Mutter,
Brachten mit einem Speerwurf
Jeder zugleich sich Sieg und Tod.
Du
aber, Nike, Göttin des Sieges, sei uns gepriesen!
Freue dich wieder, wagenprangendes Theben!
Vergessen sei vergangener Krieg!
Tanzend lasst uns umherziehen
Durch die Stadt zu den Tempeln der Götter,
Bis der Tag graut. Bacchus, führe uns an!
(3) ERSTER AUFTRITT
Kreon tritt mit Bewaffneten
aus dem Haus
CHOR
Doch siehe Kreon, der König, naht,
Der Sohn des Menoikeus,
Zum neuen Gebieter über das Land
Durch neueste Fügung der Götter bestimmt.
Was hat ihn wohl dazu bewogen,
Uns hier zu so früher Stunde
Zum Bürgerrat zu versammeln?
(weiter
rechte Spalte) |
KREON
Bürger! Die Götter haben unsren Staat,
Der schon zerstört schien, wieder aufgerichtet.
Euch aber, auserwählt aus allem Volk,
Befahl ich zu mir, weil ich weiß, wie
redlich
Ihr dem Thron des Laios habt
gedient,
Und auch dem Ödipus, als er die Stadt
Gerettet. Und als der unterging, bewahrtet ihr
Auch seinen Söhnen unbeirrt die Treue.
Da diese nun an einem Tage beide
Zugleich der Tod im Kampf ereilt hat,
Fiel die gesamte Herrschermacht an mich,
Den Nächstverwandten der Gefallenen.
Unmöglich
ist es, eines Menschen Herz,
Sein Denken und sein Wollen zu durchschauen.
Wer in des Staates Führung nicht das Beste
Zu leisten willens ist, und wer aus Furcht
Den Mund verschlossen hält, ist ein Verräter.
Dies ist mein Grundsatz. Wenn aber einer
Noch etwas höher achtet als sein Vaterland,
So sei verbannt er aus dem Kreis der Bürger.
Seh ich ein Unheil meinem Volke nahen,
So wähle niemals ich den Feind der Stadt
Zu meinem Freunde, denn nur die Stadt ist’s,
Die uns erhält, nur wenn wir dieser treu
Ergeben sind, gewinnen wir uns Freunde.
Nach diesem Grundsatz leite ich den Staat.
FOTO
3
Und
diesem folgt mein folgendes Gebot:
Eteokles, der für sein Vaterland,
Gekämpft hat und gefallen ist als Held,
Den senket in das Grab mit allen Weihen,
Die wir den besten unsrer Toten spenden.
Dagegen seinen Bruder Polyneikes, der
Aus diesem Land verwiesen war und kam,
Um seiner Väter Stadt und Götterbilder
Den Feinden auszuliefern, sich nicht scheute,
Sein eignes Volk zu morden, zu versklaven,
Dem wird , so geb ich dieser Stadt bekannt,
Kein Grab zuteil und keine Totenklage.
Sein Leib bleibt unbestattet, unbeweint,
Und wird zu Recht die Beute von Hunden und
Vögeln.
Das ist mein Wille. Und niemals werd ich dulden,
Dass man den Schlechten dem Gerechten
vorzieht.
Doch wer sich einsetzt für sein Volk, der wird
Von mir geehrt im Leben wie im Tod.
CHOR
Du, König Kreon, du bestimmst, wie es
Dem Freund und Feind des Staats ergehen soll,
Denn nach Gesetz und Recht steht es dir zu,
Zu richten über Lebende und Tote.
[...] |
ANTIGONES KLAGE / CHORLIEDER
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5
(8) CHORLIED
Eros, keiner bezwingt dich im Kampf,
Eros, jeder fällt dir zur Beute.
Dir entrinnt keiner der Götter
Noch wir sterblichen Menschen.
Du
verlockst zum Unrecht auch den Gerechten.
Du hast diese Männer entzweit, Vater und Sohn,
Sodass sich nun streitet verwandtes Blut.
Unbezwingbar treibt ihr Spiel Aphrodite.
(9) VIERTER AUFTRITT
Antigone wird herausgeführt
CHOR
Doch was muss ich dort sehen? Kaum kann
Ich den Strom der Tränen noch halten:
Auf den Weg macht sich eben Antigone
Um zur Gruft ihres Todes zu ziehen.
FOTO
4
ANTIGONE
Seht mich, Bürger der Heimat
Gehen meinen letzten Weg,
Schauen zum letzten Mal
Und nie wieder das Licht der Sonne.
Hades, der die Toten bettet, führt
Lebend mich zu Acherons Ufer.
Kein Hymenaios, den zur Hochzeit
Man singt, wird mir gesungen.
Acherons Braut soll ich werden.
CHOR
Jedoch gerühmt und von allen gepriesen
Gehst du hinab ins dunkle Reich der Toten.
Nach deinem eignen Gesetz hast du getan,
Was vor dir eine Frau noch nie gewagt hat.
ANTIGONE
Von Niobes Ende erzählte man mir,
Wie sie daliegt, erstarrt zu Fels
Auf den Höhen des Sipylos.
Regen tropft ewig
Aus ihren versteinerten Augen.
Von immer weinenden Wimpern
Rinnt unablässig tauender Schnee.
Ein Ende, so wie das ihre,
Hat mir der Dämon bestimmt.
CHOR
Jene da war von Göttern gezeugt,
Aber wir sind sterbliche Menschen.
Doch als Sterbliche hast du Großes erreicht,
Denn obwohl du jetzt untergehst, wirst du gerühmt
Wie ein Gott, noch lebend und künftig im Tode.
ANTIGONE
Wehe, ich werde verspottet!
Warum, bei den Göttern der Väter,
Verhöhnt ihr mich jetzt schon,
Da ich noch hier bin im Licht?
Ihr, reichbegüterte Bürger,
Der Stadt und du selbst, Stadt,
Quelle der Dirke im heiligen Hain,
Des wagenprangenden Theben:
Ihr alle werdet bezeugen,
Wie ich, von keinem beweint,
Gerichtet nach unerhörtem Recht,
Hinab muss ins Grab.
Weh, dort lebe ich Arme
Nicht mehr lebend bei Lebenden
Noch tot bei den Toten.
CHOR
Hoch schwang sich dein Trotz empor,
Nun kommst du zu Fall vor der Höhe des Rechts.
Vielleicht musst du auch büßen die Schuld,
Die du von den Vätern geerbt hast.
ANTIGONE
Du berührst meines Kummers
Wundeste Wunde, wieder
Und wieder reißt sie auf:
Das Unheil des Vaters und das
(weiter
rechte Spalte) |
Von
uns allen, dem Geschlecht
Der ruhmreichen Labdakiden.
Das Fluchbett des Vaters,
In dem sie, die uns geboren hat,
Lag, bei ihm, dem eigenen Kind.
Segenlos, ehelos
Geh ich hinab, bei denen wieder
Zu wohnen, von denen ich kam.
Ach und du, Bruder, tot bist du schon
Und bringst mich noch ums Leben.
CHOR
Dich vernichtet dein eigener Starrsinn.
Denn niemals duldet die Macht,
Dass man die Macht ihr bestreitet.
ANTIGONE
Unbeweint, ungeliebt, unvermählt
Führen sie mich den letzten Weg.
Nie mehr darf ich Arme dich sehen,
Heiliges Auge des Lichts,
Und mein Los beklagt
Keines Freundes Träne.
Kreon tritt auf
KREON
Wenn Klagelieder vor dem Tode etwas
Bewirkten, käme keiner je damit
Zu Ende. Schafft sie schleunigst von hier weg!
(10) CHORLIED
Auch Danae musste
Das Himmelslicht tauschen
Gegen die grässliche Gruft
Des Grabs, Dunkel umschlang sie.
Auch sie war, o Kind, von hohem Adel,
Schwanger war sie vom Samen des Zeus.
Unheimlich aber ist des Schicksals Macht.
Weder Schätze noch Waffen
Können ihm trotzen, noch
Mauern und Türme noch Schiffe.
[...] |
ENDE DES STÜCKES
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7
(13)
EXODOS (SCHLUSSSZENE)
[...]
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ENDE |
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