Unverständlichkeit
und Unspielbarkeit der gedruckt vorliegenden Übersetzungen
Will man eine der gedruckt vorliegenden
Übersetzungen als Textmaterial einer Aufführung der "Antigone" verwenden,
stößt man auf eine Reihe von Widerständen. Es handelt sich bei diesen
Texten immer zwangsläufig um einen Kompromiss aus Nachdichtung und Bemühen um
Treue zum Original, wobei den Übersetzer Spielbarkeit und
Bühnenwirksamkeit seines Deutschs immer am wenigsten gekümmert zu haben scheint. Das Ergebnis
sind in der Regel recht sperrige Texte, die durch eine gewollt ungewöhnliche Diktion möglichst befremdlich
wirken sollen, um so scheinbar das antike Original "antik" oder "archaisch"
erscheinen zu lassen. Vergleicht man diese Übersetzungen mit dem griechischen
Text, so hat man den Eindruck, dass dieser oft schlichter und sinnfälliger
wirkt als die verquälte Nachdichtung.
Bieten diese Übersetzungen schon beim Lesen dem Rezipienten Schwierigkeiten -
nicht selten ist man gezwungen, eine Stelle wiederholt zu lesen, um hinter den
intendierten Sinn zu kommen -, so ist der Theaterzuschauer geradezu überfordert: den Dialogen
zu folgen wird zur Qual, von den Chorliedern ganz zu schweigen. Und das
wäre doch schade! Denn mit einer schwerfälligen und schwer
verständlichen Darbietung tut man diesem wunderbaren Stück
Theaterliteratur nichts Gutes, insbesondere wenn man junge Zuschauer hat,
die mit gnadenloser Ehrlichkeit ihr vernichtendes Urteil fällen:
Langweilig! Und damit sind sie für das Stück und das Stück für sie
für immer verloren.
Prinzipien der Bearbeitung: Spielbarkeit und
Verständlichkeit
Zielsetzung der Bearbeitung war also größtmögliche
Verständlichkeit, bestmögliche Sprechbarkeit bei größtmöglicher Treue zum
Original. Mag mancher akribische Philologe gegen die vorliegende Bearbeitung an
vielen Stellen die Stirn in Bedenkenfalten legen - der Theaterbesucher wird
dagegen dankbar staunen, wie schwerelos die schwierige Kost in dieser Gestalt
daherkommt, ohne dass die Sprache etwas von ihrer archaischen Wucht und das
Stück als Ganzes etwas von seiner Tiefe und Bedeutungsschwere eingebüßt
hätte.
Meist genügte es, unnötige Inversionen zu glätten,
gesuchte Wortschöpfungen durch einfache und klare Worte zu ersetzen oder
zeitgebundene Begriffe und Bezeichnungen durch allgemeinverständliche
auszutauschen, sozusagen interpretierend zu übersetzen. Trotzdem
galt es striktes Stilbewusstsein zu wahren und auf alle anbiedernden
Modernismen bzw. Anachronismen zu verzichten. Hierbei half ungemein der
selbst auferlegte Zwang, das Metrum möglichst genau einzuhalten. Dies
erschwerte zwar die Arbeit, zwang aber zu Präzision und Kürze und
bewahrte dem Sprechton eine deutliche Höhe über dem Umgangssprachlichen.
Unvermeidlich erschienen dabei auch einige Kürzungen und
Vereinfachungen. Dies betrifft in kaum nennenswertem Umfang die Dialogpartien,
in wesentlich größerem die Chorlieder. Deren Bearbeitung erweist sich für
eine heutige Inszenierung als unumgänglich, es sei denn man verfolgt rein
museale Ziele. Die Chorlieder sind überwiegend religiösen Inhalts und somit
grundlegend für die kultische Einbettung der griechischen Tragödie. Für
den Zuschauer im Athener Dionysostheater machten die Tänze und Gesänge des
Chores das Tragödiengeschehen zum religiösen Erlebnis. Mutet man dem heutigen
Zuschauer diese Gesänge in vollem Umfang zu, ist er genauso ratlos, wie es ein
Athener des 5. vorchristlichen Jahrhunderts gegenüber dem Inhalt einer
Bachkantate wäre. Andererseits wäre eine radikale Unterschlagung der
Chorlieder eine unzulässige Verstümmelung, zumal die Tragödie ja aus den
Chorliedern ihren Ursprung nahm. Also galt es zu auszuwählen. Das
entscheidende Kriterium dabei war einerseits der Zusammenhang zwischen dem
Gehalt der Lieder und der Handlung, anderseits die Nachvollziehbarkeit des
Gesungenen für den heutigen Zuschauer. Das Einzugslied und das berühmte
"Ungeheuer ist viel ..." wurden ungekürzt belassen. Als
lyrische Gestaltung wurde versucht, mit freien Rhythmen dem Gehalt, der Situation und
der Stimmung gerecht zu werden.